Mittwoch, 6. Juni 2012

Politik der Widersprüche

Report München (ARD) berichtete am 5.6.2012, dass immer mehr Ärzte ihren Patienten Privatleistungen anbieten, um so ihr Budget aufzubessern (http://www.br.de/fernsehen/das-erste/sendungen/report-muenchen/dossiers-und-mehr/ueberfluessige-privatleistungen102.html). Dafür werden Schulungen angeboten, die mit Steuergeldern bezuschusst werden. Gleichzeitig sind Kostendämpfungsprogramme existent, damit die gesetzlichen Krankenkassen nicht überfordert werden. 

Das Familienministerium hat verlautbart, bis 2013 soll ein Krippenplatz für bis zu 3-jährige garantiert werden (http://www.eltern.de/familie-und-urlaub/familienpolitik/krippenplatz.html ). Gleichzeitig wird über eine Schuldenbremse für öffentliche Haushalte diskutiert (soweit sie nicht bereits in einigen Bundesländern eingeführt wurde.

Die Beispiele zeigen eine Widersprüchlichkeit politischen Handelns auf. Die Beispiele ließen sich ohne weiteres fortsetzen. Dabei müsste man nicht einmal auf Wahlversprechen der Parteien zurückgreifen, die im Widerspruch zu tatsächlichen politischen Handeln stehen.   

Ist dies die neue Form des politischen Tagesgeschäfts ? Oder ist es gar die neue Form des mittel- bis langfristigen politischen Gestaltens ?

Es mag sicherlich sein, dass einige der Vorhaben positiv aufgenommen werden. Auch soll nicht in Abrede gestellt werden, dass einige Vorhaben zunächst für sich betrachtet als positiv zu bewerten sind. Beleuchtet man aber das Beabsichtigte im Kontext des Gesamthandelns, kommen nicht nur Zweifel. Es wird zur Gewissheit, dass die Politik an Realitätsverlust leidet. Die zunächst vielleicht als positiv angesehenen Maßnahmen erscheinen dann als zum Tode verurteilte Projekte, die einzig zu Rechtsstreitigkeiten, eventuell auch zu Schadensersatzforderungen gegen den Staat führen könnten. Wieso ist es der Politik nicht möglich, Konzepte zu entwerfen, die sich in ein Ganzes einfügen ?  

Weniger ist (häufig) Mehr. Dies ist wohl auf der politischen Bühne in Vergessenheit geraten. Hier wird nach dem Klientel gesehen, weshalb sich jeder Politiker gerne dort einschmeichelt, unbeschadet der realen Durchsetzbarkeit seines Ansinnens. Und das Parlament segnet es ab, besetzt mit eben jenen Politikern.  Hier könnte man vielleicht noch zur Entschuldigung dieser Politiker (Parlamentarier) einbringen, dass diese auf Grund der Fülle der gesetzgeberischen Vorgaben nicht die Zeit finden, sich im Einzelnen damit auseinanderzusetzen, oder auch, dass sie in den einzelnen Bereichen wie auch (damit) in der Gesamtschau nicht genügend (Fach-) Kenntnisse haben. Diese Entschuldigung kann aber nicht greifen. Sicherlich ist es ein Dilemma, dass ein Politiker als Parlamentarier häufig (meist ?) über Materien zu entscheiden hat, die fachlich von ihm nicht geprüft werden können. Aber er hat mit der Annahme seiner Wahl die Verpflichtung übernommen, dem Volk insgesamt zu „dienen“, nicht zum Vorteil Einzelner  - gar unzulängliche oder nicht durchführbare -  zu entscheiden. Also hat er auch die Verpflichtung sich kundig zu machen, nicht einfach einer Maßgabe einer Fraktions- oder Parteispitze zu folgen. Jedenfalls sollte man von dem Parlamentarier erwarten, dass er in der Lage ist, zu hinterfragen. So insbesondere die Fragen nach der finanziellen Durchsetzbarkeit und ihren möglichen Folgen zu stellen.

Zu den oben genannten Beispielen  wäre im Rahmen der Kostendämpfung im Gesundheitswesen zu fragen gewesen, ob und wie gegebenenfalls Ärzte versuchen würden, ihre Einnahmeausfälle zu kompensieren. Zur Krippe ist die Frage zu stellen, wie dies in Zeiten der hohen Staatsverschuldung und Schuldenbremse gesichert finanziert und innerhalb der vorgesehenen Zeit realisiert werden soll. Fragen, die aber offenbar zwar auf der Hand liegen, aber nicht gestellt werden. Damit beweist aber der Politiker / Parlamentarier seine Unzulänglichkeit, Probleme anzugehen, Lösungen zu suchen, gesellschaftspolitisch eine tragfähige längerfristige Planung aufzustellen. Es beweist eine Unzulänglichkeit des heutigen Parlamentarismus qua seiner Mitglieder.  

Demokratie ist eine sicherlich nicht einfache Gesellschaftsform. Dies gilt gleichermaßen für die Marktwirtschaft.  Aber es sind in ihrer Grundkonzeption der Freiheitsliebe eines Jeden angemessene, von anderen Formen hervorstechende Formen eines Zusammenlebens auf einem Territorium.   Dies wird aber zur Farce, wenn die Parlamentarier ihren Aufgaben nicht nachkommen. Nach Art. 20 GG geht alle Macht vom Volk aus. Dies kann sich aber hier in Deutschland (sieht man von den wenigen Möglichkeiten eines Volksentscheids ab) nur über Wahlen zum Parlament äußern. Sei es zu Landesparlamenten oder zum Bundestag. Damit sind diese Parlamente auch im Rahmen der Aufgaben, die dem Land bzw. dem Bund zufallen, verpflichtet, nicht nur kurzfristige, eher als wahltaktisch angesehene Maßnahmen zu beschließen, sondern eine realistische Gesamtplanung vorzunehmen. Unverständlich und nicht als verfassungskonform anzusehen ist, wenn Politiker als Parlamentarier (oder Minister) Initiativen ergreifen, die im Widerspruch zu sonstigen (beschlossenen oder als sicher anzusehenden zu beschließenden) Vorgaben stehen. Blanker Opportunismus ist es anzusehen, wenn Gesetzesinitiativen gestartet werden oder gar Gesetze beschlossen werden, die im Hinblick auf andere rechtliche Regelungen von vornherein als undurchführbar anzusehen sind oder zu einer Umgehung führen, die (wie im Gesundheitswesen) letztlich das System (hier der gesetzlichen Krankenversicherung) in Frage stellen.

Es bleibt zu wünschen, dass sich die Politik besinnt.  

[Ralf Niehus]

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