Montag, 22. Juli 2013

Gedanken- und Meinugsfreiheit - Gedanken zu NSA und BND


Die Gedanken sind frei.  Eine Aussage, die erstmals 1780 auf Flugblättern erschienen sein soll; die heute bekannte Melodie kam Anfang des 19. Jahrhundert hinzu. 1842 waren es Hoffmann von Fallerleben und Ernst Richter, die das Lied veröffentlichten.  Die ersten Zeilen dazu gab es schon bei Freidank (13. Jh.) und Walther von der Vogelweide  (12. Jh.).

Aber was sind Gedanken ? Nur das tatsächlich Gedachte, nicht Ausgesprochene ? Oder der zum Ausdruck gebrachte Gedanke ? Ist mithin die Gedankenfreiheit mit der Meinungsfreiheit, die auf öffentliche Artikulation abstellt, gleichzustellen ?

 Epochal gesehen muss die Gedankenfreiheit die Vorstufe der Meinungsfreiheit sein. Denn die Äußerung des Gedankens im 12./13. Jh. wie auch im 19. Jh. war jedenfalls von (staatlichen) Repressionen begleitet. Es konnte und durfte nicht die Obrigkeit in Frage gestellt werden, keine Gotteslästerung erfolgen pp. Wenn also die Meinungsfreiheit, wie sie in Art. 5 als Grundrecht statuiert ist, die öffentliche Kundgebung bedeutet, wäre es eine Fortentwicklung der Gedankenfreiheit.  Mit dem Hinweis auf die Gedankenfreiheit wurde die  übergreifende, staatlich-kirchliche Repression abschüttelnde Grenze zum individuellen Bewusstsein gezeigt; das Individuum in seiner ureigensten Existenz wider der staatlich-kirchlichen Gewalt. Ein innerer, nicht äußerlich (gar offen) durch Wort oder Schrift zu Tage tretender Widerstand. Ein Widerstand, der durch eine Meinungsfreiheit artikuliert werden kann, der Willensbildung aber auch –beeinflussung dient.

Meinungsfreiheit als Exhibitionismus der eigenen Gedankenwelt.  Einer Gedankenwelt, die jeder mitlesen und –verfolgen kann. Zumindest derjenige, dem diese Gedankenwelt offenbart wird. Das Grundrecht der Meinungsfreiheit ist keine Grundpflicht. Die Äußerung des Gedankens ist also freigestellt. Damit ist aber auch das Recht freigestellt, seine Gedanken nur einem bestimmten Kreis mitzuteilen. Diese sich schon aus dem Sinn der Meinungsfreiheit ergebende Einschränkung der Teilöffentlichkeit wird verletzt, wenn Dritte, für die die Äußerung nicht bestimmt war, diese (bewusst und nicht nur als zufälliger Zuhörer am Stammtisch) zur Kenntnis nehmen, gar speichern und auswerten. Die Meinungsfreiheit wird damit als verfassungsrechtlich verbrieftes Grundrecht ad absurdum geführt und der Bürger wieder auf die Gedankenfreiheit verwiesen. Mit dem bewussten Eingriff in die Meinungsfreiheit wird mithin wird auch der Sinn derselben angetastet, letztlich zerstört.

Die freie Äußerung zu kulturellen, sozialen, politischen und wirtschaftlichen Fragen wird heute als Selbstverständlichkeit angesehen. Eine Selbstverständlichkeit, die es nicht gibt. Die Geschichte hat mannigfach gezeigt, wie der Umgang mit der Meinungsäußerung geahndet wird.

1. Beleget den Fuß
 Mit Banden und mit Ketten
 Daß von Verdruß
 Er sich kann nicht retten,
 So wirken die Sinnen,
 Die dennoch durchdringen.
 Es bleibet dabei:
 Die Gedanken sind frei.
(Fassung 1800)

Der hoheitliche Staat kann (noch) nicht in die Gedankenwelt eindringen. Er kann nur auf die Meinungsäußerung Einfluss nehmen. Und er nimmt dank moderner Technik Einfluss. Er liest nicht nur in öffentlichen Publikationen mit, er liest auch in Mails mit, die (sicherlich) nicht primäres Mittel der allgemeinen Bekanntgabe von zum Ausdruck gebrachten Gedanken sind. Die garantierte Meinungsfreiheit wird damit Instrumentalisiert zur Ausforschung. Die freie Meinungsäußerung wird zur Personenschau, Einordnung in Kategorien und Werte. Wer dann z.B. in den öffentlichen Dienst drängt, kann damit  - ohne es zu wissen -  konfrontiert sein. Ebenso wenn durch die Meinungsäußerung ein bestimmtes gruppenmäßiges Bild erfasst wird, gegen welches der hoheitliche Staat meint zur Staatssicherung vorgehen zu müssen.

Die fotografische Erfassung von Demonstranten, das Mitlesen von E-Mailverkehr und das Fotografieren von Briefumschlägen in Bezug auf Absender und Empfänger stellen bewusste Eingriffe in die Meinungsfreiheit dar. Mit Ihnen verkommt das Grundrecht und wird letztlich als hoheitliches Machtinstrument missbraucht.

Die Befürworter der Überwachung der Meinungsfreiheit argumentieren mit dem übergeordneten Staatsschutz und der Sicherung des Rechtsstaates. Sicherung des Rechtsstaates durch Rechtsbruch ? Die Demokratie, deren Grundelement die Meinungsfreiheit ist, soll wehrhaft sein. Wehrhaftigkeit der Demokratie durch einen Eingriff in die freiheitlichen Grundrechte zu schaffen ist ein Paradoxum. Der herzkranke Patient wird auch nicht durch Entfernen vom Herz geheilt. Das Nutzen der Meinungsfreiheit zur angeblichen Sicherung des Staates zerstört den Glauben an die Meinungsfreiheit und damit nicht nur die Möglichkeit der Nutzung, sondern auch die Grundprinzipien demokratischer Ordnung.

Es mag sein, dass durch die Überwachungen Anschläge verhindert wurden. Die Frage lautet aber, wieviel Eingriff die rechtsstaatliche Ordnung im Sinne einer demokratischen Gesellschaft verträgt, bevor die Sicherung dieses Systems durch die entsprechende Maßnahme selbst das System zum Kollaps führt. Die umfassende Überwachung, wie sie Teil von Systemen wie NSA und wohl auch BND ist, begründet den Verfall von Grundwerten, die Einsicht in die fehlende Mitwirkung bei staatlichen Prozessen und letztlich die Notwendigkeit zum Schweigen.

6. Ja fesselt man mich
 Im finsteren Kerker,
 So sind doch das nur
 Vergebliche Werke.
 Denn meine Gedanken
 Zerreißen die Schranken
 Und Mauern entzwei:
 Die Gedanken sind frei.
(Fassung 1800)

Wir können uns noch unsere Gedanken machen. Nutzen wir dies. So fing alles einmal an.