Donnerstag, 18. Oktober 2012

Das Bundesverfassungsgericht und die Europäische Union - eine Betrachtung durch rosfarbene Nebelschleier ?


1.

Im Rahmen seiner Entscheidung über Eilanträge gegen die Ratifikation des ESM-Vertrages und Fiskalpaktes vom 12.09.2012 – 2 BvR 1390/12 – hat das Bundesverfassungsgericht u.a. ausgeführt:

„Die haushaltspolitische Gesamtverantwortung des Deutschen Bundestages wird in Ansehung der Übertragung der Währungshoheit auf das Europäische System der Zentralbanken namentlich durch die Unterwerfung der Europäischen Zentralbank unter die strengen Kriterien des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union und der Satzung des Europäischen Systems der Zentralbanken hinsichtlich der Unabhängigkeit der Zentralbank und der Priorität der Geldwertstabilität gesichert (vgl. BVerfGE 89, 155 <204 f., 207 ff.>; 129, 124 <181 f.>). Ein wesentliches Element zur unionsrechtlichen Absicherung der verfassungsrechtlichen Anforderungen aus Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 in Verbindung mit Art. 79 Abs. 3 GG ist insoweit das Verbot monetärer Haushaltsfinanzierung durch die Europäische Zentralbank (vgl. BVerfGE 89, 155 <204 f.>; 129, 124 <181 f.>).“ (Rd.-Nr. 220)

„Gegen den ESM-Vertrag kann - entgegen dem Vorbringen der Antragsteller zu I. und II. - auch nicht eingewandt werden, dass der Europäische Stabilitätsmechanismus zum Vehikel einer verfassungswidrigen Staatsfinanzierung durch die Europäische Zentralbank werden könnte. Das Verbot monetärer Haushaltsfinanzierung als wesentliches Element zur unionsrechtlichen Sicherung der verfassungsrechtlichen Anforderungen des Demokratiegebotes (vgl. oben B.III.1.a)dd)) wird durch den ESM-Vertrag nicht tangiert. Im geltenden Primärrecht findet dieses Verbot monetärer Haushaltsfinanzierung seinen Ausdruck in Art. 123 AEUV. Dieser enthält das Verbot von Überziehungs- oder anderen Kreditfazilitäten bei der Europäischen Zentralbank oder den Zentralbanken der Mitgliedstaaten für Organe, Einrichtungen oder sonstige Stellen der Union, Zentralregierungen, regionale oder lokale Gebietskörperschaften oder andere öffentlich-rechtliche Körperschaften, sonstige Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder öffentliche Unternehmen der Mitgliedstaaten sowie des unmittelbaren Erwerbs von Schuldtiteln von diesen durch die Europäische Zentralbank oder die nationalen Zentralbanken. Es kann dahinstehen, ob eine Kreditaufnahme des Europäischen Stabilitätsmechanismus bei der Europäischen Zentralbank bereits durch Art. 21 Abs. 1 ESMV ausgeschlossen ist, der lediglich eine Kapitalaufnahme "an den Kapitalmärkten" vorsieht. Als internes Abkommen zwischen Mitgliedstaaten der Europäischen Union ist der ESM-Vertrag jedenfalls unionsrechtskonform auszulegen (vgl. EuGH, Rs. C-235/87, Matteucci, Slg. 1988, S. 5589, Rn. 19; Kube, WM 2012, S. 245 <246 ff.>; BTDrucks 17/9045, S. 29; 17/9047, S. 4; zum Bezug des ESMV auf das Unionsrecht siehe Rathke, DÖV 2011, S. 753 <759 f.>; Calliess, NVwZ 2012, S. 1 <1 f.>). Da eine Aufnahme von Kapital durch den Europäischen Stabilitätsmechanismus bei der Europäischen Zentralbank allein oder in Verbindung mit der Hinterlegung von Staatsanleihen mit Unionsrecht nicht vereinbar wäre, kann der Vertrag nur so verstanden werden, dass er derartige Anleiheoperationen nicht zulässt.“ (Rd.-Nr. 276)

 Eine Beeinträchtigung der haushaltspolitischen Gesamtverantwortung des Deutschen Bundestages ergibt sich schließlich auch nicht aus dem Umstand, dass der ESM-Vertrag keine ausdrücklichen Kündigungs- oder Austrittsrechte vorsieht. Angesichts der durch einen entsprechenden Vorbehalt zu sichernden verbindlichen Begrenzung der haushaltsrelevanten Belastungen auf 190.024.800.000 Euro bedarf es im Hinblick auf die Wahrung der haushaltspolitischen Gesamtverantwortung des Bundestages keiner vertraglichen Regelung eines besonderen Kündigungs- oder Austrittsrechts. Die Haftungsbegrenzung stellt hinreichend sicher, dass durch das Inkrafttreten des Vertrages allein kein irreversibler Zahlungs- und Gewährleistungsautomatismus begründet wird. Vielmehr bedarf es für jede neue Zahlungsverpflichtung oder Haftungszusage einer erneuten konstitutiven Entscheidung des Deutschen Bundestages. Im Übrigen gelten insoweit die allgemeinen Regelungen.“ (Rd.-Nr. 278)

 
2.

Das Bundesverfassungsgericht beschwört den AEUV (Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union)  und die dortigen Regelungen zur Europäischen Zentralbank (EZB). Klar wird zum Ausdruck gebracht, dass Anleihekäufe durch die EZB sich weder mit dem AEUV noch mit dem verfassungsrechtlich verbrieften Haushaltsrechts des Deutschen Bundestages vereinbaren lassen.

Dies entspricht auch der ganz herrschenden Meinung. Nur: Wer achtet auf die Einhaltung ? Wer ergreift welche Maßnahmen bei Zuwiderhandlungen ? Wer kann etwas gegen Zuwiderhandlungen unternehmen ?

Unabhängig von Überlegungen einer Finanzierung über Bonds (befürwortet durch den SPD-Kanzlerkandidaten Steinbrück), mit denen in geradezu elementarer Weise gegen das verfassungsrechtlich geschützte Haushaltsrecht des Deutschen Bundestages verstoßen würde, wird doch schon seit einiger Zeit Art. 123 AEUV durch die EZB nicht mehr eingehalten: trotz des Verbots der monetären Haushaltsfinanzierung werden Staatsanleihen durch die EZB zur Stützen von Mitgliedsstaaten der EU aufgekauft. Und niemand schreitet ein. Es wird, wenn nicht offen befürwortet, jedenfalls stillschweigend geduldet.

Trotz dieser bekannten erheblichen Rechtsverstöße begründet das oberste deutsche Gericht, welches eine Gewährsträgerschaft für die Verfassung hat, seine Entscheidung gerade mit jenen Gesetzesnormen, die schon jetzt nicht mehr eingehalten werden. Es verschließt sich mithin (bewusst ?) der  - vom Gesetz abweichenden und nicht angegriffenen -  Praxis.

Betrachtet also das Bundesverfassungsgericht alles nur durch einen rosafarbenen Nebelschleier ? Die Grundstrukturen des demokratischen Aufbaus (in Deutschland) werden erkannt und als Manifest den Entscheidungen zugrunde gelegt. Dem Parlamentarismus als Grundlage der demokratischen Ordnung kommt dabei in den Entscheidungen des Verfassungsgerichts eine besondere Bedeutung zu; bezeichnend daher auch, dass es vor diesem Hintergrund das Europäische Parlament nicht als Pfeiler in diesem System ansieht (BVerfG vom 30.06.2009 – 2 BvR 2/08 u.a.).

Wenn es sich gleichwohl der Erkenntnis über die praktische Anwendung bzw. Umsetzung gesetzlicher Regelungen verschließt, dies bei seinen Entscheidungen nicht berücksichtigt, sind seine Entscheidungen mit einem erheblichen Defizit verbunden.  Was hilft eine rechtstheoretisch die Verfassung wahrende Rechtsprechung, wenn sie letztlich nur Gesetzen gilt, die jedenfalls nicht in dieser Form umgesetzt werden und bei denen niemand darauf achtet oder dies erzwingt, dass auch die rechtsstaatlichen Grundsätze bei der Umsetzung gewahrt werden ? Es sind Entscheidungen im Elfenbeinturm. Die Erkenntnis der Anwendung von Gesetzen im Rahmen der Umsetzung gemeinschaftsrechtlicher Regelungen muss zwingend Bestandteil der Betrachtung verfassungsgerichtlicher Überprüfung sein, weshalb jedenfalls zu erwarten gewesen wäre, dass das Verfassungsgericht eine entsprechende Regelung zur Sicherung verlangt.

Es bleibt zu hoffen, dass das Bundesverfassungsgericht künftig auch die praktische Anwendung gemeinschaftsrechtlicher Regelungen in seine Betrachtung einfließen lässt und so verlässlich auf eine Sicherung verfassungsrechtlicher Grundsätze hinarbeitet.

 

 

Mittwoch, 3. Oktober 2012

Populismus statt Finanzstrategie – die tragische Figur des Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück


birgitH / pixelio.de

Der dem rechten Flügel der SPD zugeordnete und sichtlich sich dem linken Flügel anbiedernde Kandidat Steinbrück hatte weder in der Vergangenheit finanzpolitische Kompetenz zu erkennen gegeben, noch lassen seine jetzigen Ausführungen zur Euro-Krise und zur Steuer darauf schließen.  

Steinbrück, Jahrgang 1947, Studium der Volkswirtschaft und Sozialwissenschaft [1], war Finanzminister, später Ministerpräsident in Nordrhein-Westfalen und von 2005 bis 2009 Bundesminister der Finanzen. Das sind die nüchternen Daten, zu denen sich noch gesellt, dass er nach seinem Lebenslauf nie in der freien Wirtschaft tätig war, will man nicht seine Angabe „Werkvertrag mit dem Bundesbauministerium (Raumordnung und Regionalplanung)“[2] für 1074 bis 1976 (direkt nach dem Studium) dort einordnen.  

In seine Zeit als Bundesfinanzminister fiel die Lehmann-Pleite. Hier waren es Steinbrück und Merkel, die mangels eigener finanzpolitischer Fähigkeiten und mangels fachlicher Beratung die ersten gravierenden Fehlentscheidungen trafen, als sie auf dem ersten EU-Gipfel nach der Pleite darauf drangen, jedes Land müsse einen eigenen Schutzschirm über sein Banksystem spannen [3]. Dass damit Länder, deren Haushalte ausgeglichen waren, überfordert werden könnten, wurde nicht bedacht, ebenso wenig die möglichen globalen Folgen. Europäische Hilfe qua europäischer Lösungen wurden von Steinbrück damals abgelehnt. Damit aber entsprach er in seiner Aussage auch dem EU-Vertrag, wonach (immer noch nach dem Vertragswortlaut) jeder Staat für seine Finanzen und Wirtschaft selbst verantwortlich ist.

All das, was damals von ihm bekundet wurde, soll nun aber nicht mehr gelten. Selbst den Griechen will er, weitergehend als Merkel, Hilfe gewähren. Selbst Euro-Bonds steht er positiv gegenüber, einem Finanzinstrument, welches eine gesamtschuldnerische Haftung aller beteiligten Staaten begründen würde. Finanzstrake Staaten würden damit entgegen dem EU-Vertrag für finanzschwache Staaten haften [4].

Ob mit derartigen Überlegungen Wählerstimmen gewonnen werden können darf als zweifelhaft angesehen werden. Aber vielleicht hofft Steinbrück auch darauf, dass sich das Problem Griechenland bis zur Bundestagswahl selbst erledigt hat, er dann aber außenpolitisch als „nicht verantwortlich“ angesehen wird. Selbst wenn diese Rechnung aufgehen sollte, verkennt Steinbrück, dass Griechenland nicht das einzige Land mit entsprechenden Problemen ist  -  Spanien kommt unweigerlich [5]. Und bei anderen Staaten (man denke an Portugal, Italien) sieht es nicht besser aus. Es ist ein Fass ohne Boden, der mir Euro-Bonds geöffnet würde. Statt einen Schnitt zu wagen, würde der finanz-desaströse Alptraum seine Fortsetzung erhalten, der Scherbenhaufen am Schluss nicht mehr zu bewältigen sein. 

Sowohl dieser Umstand wird von dem Kanzlerkandidaten verkannt wie auch seine steuerpolitische Überlegung der Vermögenssteuer. Sicherlich wird man in Bezug auf die Vermögenssteuer dem Kandidaten einen geschickten Schachzug zur Gewinnung von Wählerstimmen nicht absprechen können. Vermögensungleichheit wurde gerade in letzter Zeit publiziert [6], wenn dabei auch nicht berücksichtigt wurde, dass insgesamt das Vermögen und insbesondere auch das Einkommen stieg und die Einkommenserhöhung auch jene Schichten betraf, die danach nicht an dem absoluten Vermögen teilhaben. Die Angaben [7] beruhen auf dem sozio-ökonomischen Panel, bei dem der DIW seit 1984 12000 stets gleiche Personen befragt[8]. Die Stimmigkeit mag hier insbesondere auf eine Repräsentativität auf sich beruhen, da entscheidend der öffentlichkeitswirksame Charakter ist. Genau diesen will sich aber Steinbrück bei seiner Forderung der Vermögenssteuer nutzbar machen. 

Erwartet werden 11,5 Milliarden Euro [9]. Die Kosten müssen noch abgezogen werden, so die Kosten für die Ermittlung der Werte (so z.B. Grundstückswerte). Da aufgrund der bisherigen Vorstellungen zur Vermögenssteuer nur etwa 150.000 Steuerbürger betroffen wären, soll die Steuer mit 1% des Vermögens auch relativ hoch angesetzt werden [10]. Dass es sich unter Berücksichtigung der Kosten von rund 20% [11] bei einem Bundeshaushalt, der Ausgaben von über 300 Milliarden Euro vorsieht [12], letztlich nur um knapp 3,5% des Bundeshaushalts handelt, um verschwindend geringe Einnahmen handelt, wird gerne übergangen (die Kosten-Nutzen-Relation bleibt hier wie häufig außer Ansatz). Entscheidender dürfte aber sein, dass sich sicherlich ein Großteil der Steuer betroffenen überlegen wird, dieser Steuer zu entgehen. Nicht per Schwarzgeldkonten im Ausland, sondern legal. Eine Überlegung wäre der Umzug ins Ausland. Mit Wohnsitzaufgabe in Deutschland bliebe der Steuerpflichtige nur noch geraume Zeit beschränkt steuerpflichtig, und auch nur noch mit seinen  Einkünften in Deutschland und evtl. Vermögen in Deutschland. Das Weltprinzip des deutschen Steuerrechts würde ihn nicht treffen. Frankreich macht es gerade vor [13].  

Steinbrück betreibt Populismus. Es ist keine  - gar gelungene -  finanzpolitische Überlegung, Griechenland längere Zeit zu gewähren, einen Euro-Bonds oder die Vermögenssteuer einzuführen. Mit dem Neid-Thema Vermögen versucht er sichtlich und unabhängig auch von einer (verfassungsrechtlich eventuell gedeckten) Durchführbarkeit einer Vermögenssteuer [14] Wählerstimmen zu gewinnen.  

Der Kandidat beweist kein finanzpolitisches Talent. Er hatte nicht nur im Zusammenhang mit der Lehmann-Krise als Bundesfinanzminister versagt. Vielmehr belegen seine jetzigen Ausführungen allenfalls populistische Züge des Kandidaten, nicht aber ein wirtschafts- und finanzpolitisches Verständnis. Keine seiner Aussagen sind geeignet, in der gegenwärtigen Krise, die auch Deutschland erreicht hat, Ansätze für eine Lösung vorzuzeigen. Er zeigt kein Charisma und auch keine Visionen. Sein Verständnis scheint auf wahlkampftaktische Überlegungen geschrumpft, deren Realitätssinn oder gar Sinnhaftigkeit er wohl nicht einmal bereit ist zu überdenken. Damit stellt er sich als eine tragische Figur im Kampf der SPD um die Regierungsübernahme dar. Denn unabhängig davon, ob das Kalkül der Art des Wählerstimmfangs aufgeht, machen seine Ausführungen mehr als deutlich, dass es ihm an der notwendigen Befähigung fehlt, einen Staat wie Deutschland in der Krise zu führen.  

Ralf Niehus, Mitglied im DVPJ


[2] Wie Fn. 1
[4] Jan Philipp Brosius: „Die Rechtmäßigkeit bilateraler Rettungskredite“. Info-Point Europa, Hamburg, Beitrag 06/2010
[6] Joachim R. Frick und Markus M. Grabka: Gestiegene Vermögensungleichheit in Deutschland. In: Wochenbericht des DIW Berlin Nr. 4/2009, S. 59.
[10] wie Fn. 9
[11] wie Fn. 9
[14] BVerfGE 93, 121-165 zur Nichtigkeit des damaligen Vermögenssteuergesetzes = http://lexetius.com/2001/8/224