Montag, 7. Mai 2012

Multikulti - oder die wehrhafte Gesellschaft


Es gibt Themenbereiche, denen sich ein Verfasser nur sehr vorsichtig nähert. Denn die Behandlung führt schnell ins Abseits.  Klarer ausgedrückt: Meinungsfreiheit wird geduldet, aber nur in eine Richtung. Interessant ist dabei der Umstand, dass diejenigen, die hier den öffentlichen Meinungsraum mit ihrer Verurteilung „Andersdenkender“ besetzen, nach Umfragen nicht repräsentativ sind.  Es sei hier beispielsweise an Thilo Sarrazin erinnert, seine Darlegungen zu Einwanderungen und seine öffentliche Kritik an der Einwanderungspolitik. 

Als Stichwort sei „Salafisten“ benannt. Der Salafismus gilt als eine ultrakonservative Strömung innerhalb des Islam.  Er ist auch in Deutschland verbreitet und wird mit Gewalttätigkeiten in Zusammenhang gebracht (vgl. z.B. http://www.tagesspiegel.de/weltspiegel/nordrhein-westfalen-erneut-ausschreitungen-bei-aktionen-von-salafisten-und-islam-gegnern/6595310.html). Die Frage, die hier zu stellen ist, lautet, wie viel „Multikulti“ sich ein Staat erlauben kann und darf, und wann er sich wehren muss. Und: wenn er sich wehren muss, wie er sich wehren kann. 

Zu Zeiten des sogen. „Kalten Krieges“  war alles noch in etwa klar geordnet. Da gab es die verschiedenen Sphären, die wechselseitig zu berücksichtigen waren und auf deren Achtung die Weltmächte USA, UdSSR und auch China achteten. Mit dem Zerfall der UdSSR, der von Gorbatschow eingeleiteten Perestroika, kam der Wandel zur Globalisierung. Die Grenzen öffneten sich, nicht nur für den Warenaustausch, sondern auch für den persönlichen Austausch. Multimediagesellschaft und Grenzöffnung schafften innerhalb kürzester Zeit ein gesellschaftliches Phänomen einer Neugestaltung. Nicht nur traten neue Konflikte weltweit auf, die nunmehr unabhängig von den früheren geographischen Sphären global  - und insbesondere für die bisherige westliche Staatengemeinschaft -  eine Herausforderung darstellten; auch national kam (und kommt) es zu einem Aufbruch.  

Die Anzahl der Islamisten in Deutschland wird auf 1.8 Mio. (Stand 2008, http://de.wikipedia.org/wiki/Islam_in_Deutschland) geschätzt, also rund 5% der hiesigen Bevölkerung. War ihr Ursprung früher vornehmlich die Türkei, aus der sie als Gastarbeiter kamen,  hat sich dies auf Länder wie z.B. Bosnien-Herzegowina, Kosovo, Iran, Marokko, Afghanistan, Libanon, Pakistan, Syrien und Tunesien erstreckt. Von Migranten ist die Rede, von Integration.

Die multikulturelle Gesellschaft hat sicherlich ihren Charme. Gedacht ist an ein friedliches Zusammenleben, unbeschadet nationaler, ethnischer oder religiöser Herkunft. Gedacht ist aber nicht daran, bestimmte fanatische Ideen im Rahmen multikultureller Öffnung zu akzeptieren, gar zu fördern. Hiergegen muss sich eine Gesellschaft zur Wehr setzen. Ein System zu nutzen um es aus sich selbst auszuhöhlen, daran lässt sich bei Vorgehensweisen von Salafisten u.a. denken. 

Die streitbare und wehrhafte Demokratie (BVerfGE 28, 36, 48) muss sich im Selbsterhaltungswillen gegen jede Art der (gar gewalttätig unterstützen) Versuche wehren, das vorhandene System zu verändern. Leider wird aber hier nicht restriktiv vorgegangen. Dies führt zur Ausweitung gewalttätiger Aktionen gegen das geltende System. 

Im Staatsangehörigkeitsgesetz ist geregelt, wer unter welchen Voraussetzungen Deutscher ist oder die deutsche Staatsangehörigkeit annehmen kann. Die Kriterien sind sehr lax, ihre Anwendung noch mehr. Schon hier wäre nachzubessern. Weshalb in § 8 StAG nicht gefordert wird, dass der einbürgerungswillige Ausländer (zumindest) auch die deutsche Sprache (in Schrift, wenigstens Wort) beherrscht, ist unerfindlich. Die Voraussetzung wird zwar für den Fall des § 10 StAG aufgestellt, aber offenbar in der Praxis (wie man unschwer feststellen kann) nicht weiter beachtet. Unverständlich ist auch, dass selbst im Falle von § 10 StAG, bei dem für den Einbürgerungswilligen deutsche Sprachkenntnisse gefordert werden, dies nicht für seinen Ehegatten resp. seine Kinder gelten soll, wenn diese sich ebenfalls (dem die Voraussetzungen des § 10 StAG erfüllenden) Einbürgerungswilligen anschließen.   

Diese Umstände eines nicht ausgereiften Einbürgerungsrechts mögen wohl soziologisch Einfluss auf die Entwicklung haben, sollen hier aber nicht weiter beleuchtet werden. Zu fragen ist vielmehr, welche Maßnahmen zur Unterbindung von Ausschreitungen möglich sind, deren Ursache gerade auch in religiösen und/oder ethnischen Ursachen zu suchen sind. 

Auch hier hilft  - an sich -  das Einbürgungs- und Aufenthaltsrecht weiter. Straftaten stehen der Einbürgerung entgegen, vgl. §§ 8 Abs. 1 Nr. 2, 10 Abs. 1 Nr. 5 StAG. Das AufenthG regelt die Steuerung und Begrenzung des Zuzugs von Ausländern, § 1 Abs. 1 AufenthG. Allerdings wird unter Verweis auf Art. 6 GG bereits in § 27 AufenthG (Familiennachzug) eine Durchlöcherung allgemeiner Voraussetzungen vorgenommen. Ebenso bedenklich ist die Vorrangstellung EU-rechtlicher Bestimmungen (Gültigkeit von im EU-Ausland erstellter Aufenthaltsgenehmigungen) , wie auch die Regelung über eine Daueraufenthaltserlaubnis ohne Möglichkeit des Widerrufs und der Ausweisung im Falle einer rechtswidrigen Tat, wie auch die fehlende Regelung im StAG über den Widerruf der Zuerkennung der deutsche Staatsangehörigkeit im Falle einer rechtswidrigen Tat.  

Zum Einen wäre es erforderlich, im Falle gewalttätiger Auseinandersetzungen ohne weiteres diese strafrechtlich zu prüfen und  - soweit bereits bzw. noch nach den gesetzlichen Regelungen möglich -  eine Ausweisung vorzunehmen. Unverhältnismäßig ist hier die Regelung in § 53 AufenthG, wonach eine Ausweisung zwingend nur geboten ist, wenn eine Verurteilung „von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist oder wegen vorsätzlicher Straftaten innerhalb von fünf Jahren zu mehreren Freiheits- oder Jugendstrafen von zusammen mindestens drei Jahren rechtskräftig verurteilt oder bei der letzten rechtskräftigen Verurteilung Sicherungsverwahrung angeordnet worden ist“, § 53 Nr. 1 AufenthG sowie in ähnlichen Fällen (Landfriedensbruch pp.).  Derartiges hindert keine Gewalttaten, wie sie zwischenzeitlich zusehends im Zusammenhang mit den Salafisten festzustellen sind, da dem ausländerrechtlich kaum entgegengewirkt wird. § 54 AufenthG sieht bei Freiheitsentzug von mindestens zwei Jahren nur noch eine Regelausweisung vor, erlaubt also hier  - unverständlich -  eine Abweichung.

Gewalt im Zusammenhang mit politisch-religiöser Motivation (wobei wohl häufig Religiosität nicht vorgespiegelt wird) ist keine Seltenheit mehr. Es wäre aber bei einer ordnungsgemäßen und die wehrhafte Demokratie bekräftigende und unterstützende Gesetzgebung und Verwaltung möglich, diese einzudämmen. Dass dies nicht konsequent umgesetzt wird, statt dessen von Integration/Migration gesprochen wird, dürfe ein Problem der durch Angst begründeten Handlungsunfähigkeit der Politik sein. Angst davor, von jenen Kräften öffentlich diffamiert zu werden, gegen die sich letztlich die Maßnahmen richten würden: Fanatiker, die sich das System für ihre Agitation nutzbar gemacht haben.

Vielleicht kommt aber doch noch rechtzeitig Einsicht bei den demokratischen Parteien, um in einem gemeinsamen Konsens die notwendigen Schritte zur Wahrung des Rechtsfriedens und damit auch der freiheitlichen Grundordnung aufrechtzuerhalten, bevor dem Extremismus der einen der Extremismus der anderen Seite entgegengesetzt wird.

[Ralf Niehus]

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