Da
gibt es, man glaubt es kaum, ein Gesetz namens „Gesetz zur Gleichstellung von
Menschen mit Behinderung (Behindertengleichtellungsgesetz – BBG)“. Dabei heißt
es dann in § 1 Abs. 1 Satz 1 BBB: „Ziel
dieses Gesetzes ist es, die Benachteiligung von Menschen mit Behinderungen zu
beseitigen und zu verhindern sowie ihre gleichberechtigte Teilhabe am Leben in
der Gesellschaft zu gewährleisten und ihnen eine selbstbestimmte Lebensführung
zu ermöglichen.“ Und § 1 Abs. 2 BBG schließt daran an: „Die Träger öffentlicher
Gewalt im Sinne des Absatzes 2 Satz 1 sollen darauf hinwirken, dass
Einrichtungen, Vereinigungen und juristische Personen des Privatrechts, an
denen die Träger öffentlicher Gewalt unmittelbar oder mittelbar ganz oder
überwiegend beteiligt sind, die Ziele dieses Gesetzes in angemessener Weise
berücksichtigen.“ Und, man staunt, in § 10 Abs. 1 BBG heißt es sogar: „Träger
öffentlicher Gewalt im Sinne des § 1 Absatz 2 Satz 1 haben bei der Gestaltung von
Bescheiden, Allgemeinverfügungen, öffentlich-rechtlichen Verträgen und
Vordrucken eine Behinderung von Menschen zu berücksichtigen. Blinde und
sehbehinderte Menschen können zur Wahrnehmung eigener Rechte im
Verwaltungsverfahren nach Maßgabe der Rechtsverordnung nach Absatz 2
insbesondere verlangen, dass ihnen Bescheide, öffentlich-rechtliche Verträge
und Vordrucke ohne zusätzliche Kosten auch in einer für sie wahrnehmbaren Form
zugänglich gemacht werden.“
Was daran so besonderes ist ?
Das Gesetz stammt aus dem Jahr 2002. Und wie sieht die Wirklichkeit aus ?
Anlässlich der Wahlen in Berlin zum Abgeordnetenhaus und den
Bezirksversammlungen wurde Blinden freigestellt sich bei der Stimmabgabe von
einer Person ihres Vertrauens oder dem Leiter
des Wahlbüros helfen zu lassen. Und wie heißt es in § 49 Abs. 6 der
Landeswohlordnung von Berlin: „Muster der Stimmzettel werden unverzüglich nach
ihrer Fertigstellung denjenigen Blindenvereinen, die ihre Bereitschaft zur
Herstellung von Stimmzettelschablonen erklärt haben, zur Verfügung gestellt.
Das Land erstattet diesen die durch die Herstellung und die Verteilung der
Stimmzettelschablonen veranlassten notwendigen Ausgaben.“ Findet sich also
niemand, der seine Bereitschaft zur Herstellung der Schablonen erklärt, werden
sie nicht erstellt. Das Land Berlin als solches übernimmt dies gemäß der
Landeswahlordnung nicht.
Die Landeswahlordnung verstößt
gegen Bundesrecht. Nach § 10 Abs. 1 BBG haben (also verpflichtend) die Träger
öffentlicher Gewalt bei Vordrucken, zu denen auch Wahlzettel zählen, so zur
Verfügung zu stellen, dass sie für Blinde lesbar sind (z.B. qua Schablone). Das
Unterlassen stellt sich nicht nur als ein Eingriff in das Persönlichkeitsrecht
des Betroffenen dar, da er zum Zwecke der Wahl sich Dritten gegenüber gezwungen
ist zu offenbaren, was er wählt, sondern als Eingriff in die Unabhängigkeit und
Freiheit der Wahl. Es stellt sich als wissentliche Diskriminierung der Blinden
durch das Land dar, und als Eingriff in das Verfassungsrecht nach Art. 26 Abs.
1 Berliner Verfassung (wortgleich mit Art. 38 Abs. 1 GG für Wahlen zum
Bundestag), wonach die Wahlen aus gutem Grund „geheim“ stattzufinden haben.
Zwar gibt es Schablonen, doch um
deren Beschaffung müssen sich Blinde selbst kümmern. In den Wahlbenachrichtigungen
hieß es: „Blinde und Sehbehinderte können beim Allgemeinen Blinden- und
Sehbehindertenverein Berlin, gegr. 1874 e. V. (ABSV), unter Tel.: 895 88-0 eine
Schablone zum selbständigen Wählen anfordern. Internet: www.absv.de“.
Da werden vom Gesetzgeber
Gesetze erlassen und mit Stolz verkündet, was für bestimmte Bevölkerungsgruppen
gemacht würde. Alleine das Gesetz macht es nicht. Es wäre schön, wenn die
Umsetzung auch ohne Gesetz gegeben wäre, und zwar eine Umsetzung, die der
Zielsetzung gerecht wird. Dies ist dann nicht der Fall, wenn hier der Wähler
erst durch zusätzliche eigene Maßnahmen in die Lage versetzt wird, an der Wahl
teilzunehmen, da ihm nicht von staatlicher Stelle, so im Wahlraum, eine
Schablone zur Verfügung gestellt wird. Barrierefreiheit, die von Politikern in
Werbequalität ausposaunt wird, ist etwas anders.
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Gedanken zur Wahl vom 18.09.2016 - einmal aus anderer Perspektive
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