Die Gedanken sind frei. Eine Aussage, die erstmals 1780 auf
Flugblättern erschienen sein soll; die heute bekannte Melodie kam Anfang des
19. Jahrhundert hinzu. 1842 waren es Hoffmann von Fallerleben und Ernst
Richter, die das Lied veröffentlichten.
Die ersten Zeilen dazu gab es schon bei Freidank (13. Jh.) und Walther
von der Vogelweide (12. Jh.).
Aber was sind Gedanken ? Nur das
tatsächlich Gedachte, nicht Ausgesprochene ? Oder der zum Ausdruck gebrachte
Gedanke ? Ist mithin die Gedankenfreiheit mit der Meinungsfreiheit, die auf öffentliche
Artikulation abstellt, gleichzustellen ?
Epochal gesehen muss die Gedankenfreiheit die
Vorstufe der Meinungsfreiheit sein. Denn die Äußerung des Gedankens im 12./13.
Jh. wie auch im 19. Jh. war jedenfalls von (staatlichen) Repressionen
begleitet. Es konnte und durfte nicht die Obrigkeit in Frage gestellt werden,
keine Gotteslästerung erfolgen pp. Wenn also die Meinungsfreiheit, wie sie in
Art. 5 als Grundrecht statuiert ist, die öffentliche Kundgebung bedeutet, wäre
es eine Fortentwicklung der Gedankenfreiheit.
Mit dem Hinweis auf die Gedankenfreiheit wurde die übergreifende, staatlich-kirchliche Repression
abschüttelnde Grenze zum individuellen Bewusstsein gezeigt; das Individuum in
seiner ureigensten Existenz wider der staatlich-kirchlichen Gewalt. Ein
innerer, nicht äußerlich (gar offen) durch Wort oder Schrift zu Tage tretender
Widerstand. Ein Widerstand, der durch eine Meinungsfreiheit artikuliert werden
kann, der Willensbildung aber auch –beeinflussung dient.
Meinungsfreiheit als
Exhibitionismus der eigenen Gedankenwelt. Einer Gedankenwelt, die jeder mitlesen und –verfolgen
kann. Zumindest derjenige, dem diese Gedankenwelt offenbart wird. Das
Grundrecht der Meinungsfreiheit ist keine Grundpflicht. Die Äußerung des
Gedankens ist also freigestellt. Damit ist aber auch das Recht freigestellt,
seine Gedanken nur einem bestimmten Kreis mitzuteilen. Diese sich schon aus dem
Sinn der Meinungsfreiheit ergebende Einschränkung der Teilöffentlichkeit wird
verletzt, wenn Dritte, für die die Äußerung nicht bestimmt war, diese (bewusst
und nicht nur als zufälliger Zuhörer am Stammtisch) zur Kenntnis nehmen, gar
speichern und auswerten. Die Meinungsfreiheit wird damit als
verfassungsrechtlich verbrieftes Grundrecht ad absurdum geführt und der Bürger
wieder auf die Gedankenfreiheit verwiesen. Mit dem bewussten Eingriff in die Meinungsfreiheit
wird mithin wird auch der Sinn derselben angetastet, letztlich zerstört.
Die freie Äußerung zu
kulturellen, sozialen, politischen und wirtschaftlichen Fragen wird heute als
Selbstverständlichkeit angesehen. Eine Selbstverständlichkeit, die es nicht
gibt. Die Geschichte hat mannigfach gezeigt, wie der Umgang mit der
Meinungsäußerung geahndet wird.
1. Beleget
den Fuß
Mit Banden und mit Ketten
Daß von Verdruß
Er sich kann nicht retten,
So wirken die Sinnen,
Die dennoch durchdringen.
Es bleibet dabei:
Die Gedanken sind frei.
(Fassung 1800)
Der hoheitliche
Staat kann (noch) nicht in die Gedankenwelt eindringen. Er kann nur auf die
Meinungsäußerung Einfluss nehmen. Und er nimmt dank moderner Technik Einfluss. Er
liest nicht nur in öffentlichen Publikationen mit, er liest auch in Mails mit,
die (sicherlich) nicht primäres Mittel der allgemeinen Bekanntgabe von zum
Ausdruck gebrachten Gedanken sind. Die garantierte Meinungsfreiheit wird damit Instrumentalisiert
zur Ausforschung. Die freie Meinungsäußerung wird zur Personenschau, Einordnung
in Kategorien und Werte. Wer dann z.B. in den öffentlichen Dienst drängt, kann
damit - ohne es zu wissen - konfrontiert sein. Ebenso wenn durch die
Meinungsäußerung ein bestimmtes gruppenmäßiges Bild erfasst wird, gegen welches
der hoheitliche Staat meint zur Staatssicherung vorgehen zu müssen.
Die
fotografische Erfassung von Demonstranten, das Mitlesen von E-Mailverkehr und
das Fotografieren von Briefumschlägen in Bezug auf Absender und Empfänger
stellen bewusste Eingriffe in die Meinungsfreiheit dar. Mit Ihnen verkommt das
Grundrecht und wird letztlich als hoheitliches Machtinstrument missbraucht.
Die Befürworter
der Überwachung der Meinungsfreiheit argumentieren mit dem übergeordneten
Staatsschutz und der Sicherung des Rechtsstaates. Sicherung des Rechtsstaates
durch Rechtsbruch ? Die Demokratie, deren Grundelement die Meinungsfreiheit
ist, soll wehrhaft sein. Wehrhaftigkeit der Demokratie durch einen Eingriff in
die freiheitlichen Grundrechte zu schaffen ist ein Paradoxum. Der herzkranke
Patient wird auch nicht durch Entfernen vom Herz geheilt. Das Nutzen der
Meinungsfreiheit zur angeblichen Sicherung des Staates zerstört den Glauben an
die Meinungsfreiheit und damit nicht nur die Möglichkeit der Nutzung, sondern
auch die Grundprinzipien demokratischer Ordnung.
Es mag sein,
dass durch die Überwachungen Anschläge verhindert wurden. Die Frage lautet
aber, wieviel Eingriff die rechtsstaatliche Ordnung im Sinne einer
demokratischen Gesellschaft verträgt, bevor die Sicherung dieses Systems durch
die entsprechende Maßnahme selbst das System zum Kollaps führt. Die umfassende
Überwachung, wie sie Teil von Systemen wie NSA und wohl auch BND ist, begründet
den Verfall von Grundwerten, die Einsicht in die fehlende Mitwirkung bei
staatlichen Prozessen und letztlich die Notwendigkeit zum Schweigen.
6. Ja fesselt
man mich
Im finsteren Kerker,
So sind doch das nur
Vergebliche Werke.
Denn meine Gedanken
Zerreißen die Schranken
Und Mauern entzwei:
Die Gedanken sind frei.
(Fassung 1800)
Wir können uns
noch unsere Gedanken machen. Nutzen wir dies. So fing alles einmal an.
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