Atatürk war
Begründer der modernen Republik Türkei. Der Staat selbst, im Spanungsfeld des
Ost-West-Konflikts belegen, hatte stets Schwierigkeiten mit demokratischen Strukturen,
wie auch die drei Militärputsche dokumentieren. Nachdem Atatürk religiöse Formen aus dem
öffentlichen leben heraushalten wollte, sogar ein Kopftuchverbot verordnete, kam
mit Erdogan 2003 ein Ministerpräsident an die Macht, der islamische Traditionen
befürwortete und fördert. Unter ihm nahm das Land immer weiter Abstand vom
Westen hin zu einem islamistischen Staat. Nun aber zeigt sich Widerspruch. Dieser formierte sich zunächst an der
Absicht, die Rodung des einzigen größeren, mit Bäumen bepflanzten Platzes in
Istanbul verhindern zu wollen, hat sich aber zu einer Bewgung entwickelt, die
ihren Unmut über zehn Jahre Regierung Erdogans zum Ausdruck bringt. Doch der
Staat in Gestalt der konservativen Staatsführung um Erdogan wehrt sich. Allerdings
ist nicht ersichtlich, dass sich der Protest gegen die Ismalisierung als solche
wendet und den in der Verfassung von 1937 formulierten Laizismus fordert.
Leitbild Atatürks war die laizistische
Republik. Es war der Übergang vom osmanischen Reich, auch unter Abschaffung des
Kalifenamtes, zur Demokratie in der 1923 von Atatürk ausgerufenen Republik. In
der 1937 verkündeten Verfassung heißt es:
„Das Türkische Reich ist republikanisch, nationalistisch,
volksverbunden, interventionistisch, laizistisch und revolutionär.“
In der Verfassung von 1961 blieb
der Verweis auf die Laizismus, ebenso in der nach dem Militärputsch 1980 in 1982
in Kraft getretenen Verfassung, in der auch die Demokratie als Grundprinzip
verankert wurde. Aber schon zu Zeiten
Atatürks regte sich Widerstand. Mitstreiter von ihm haben eine
Oppositionsbewegung (mit Duldung von ihm) aufgebaut, die das Alte bewahren
wollte. Gleichwohl wurden die Säkuralisierung durch Atatürk nach westlichen
Vorbild vorangetrieben, wozu u.a. das Verbot der Religionsschulen gehörte, die
(wesentlich) Übernahme des
schweizerischen Zivilrechts, des italienischen Strafrechts und Handelsrechts
pp. Religiöse Gerichte wurden abgeschafft. Das Recht der Frau an der Teilhabe
am wirtschaftlichen, solzialen und politischen Leben wurde verankert. Durchsetzen
konnte dies Atatürk durch die Unterstützung des Militärs, aus dem er selbst
kam.
Mit den späteren Militärputschen
wurde auch stets verdeutlicht, dass die westliche Prägung des Staates erhalten
bleiben soll. Doch mehrten sich konservative Kräfte, die dem Islam anhingen und
dessen Einfluss auch auf das gesellschaftliche Leben fördern wollten. Zu ihnen
gehört Recep Tayyip Erdoğan, der in 2002 die Wahlen gewann und seit 2003
Ministerpräsident ist. Es ist nicht verwunderlich, dass seine Frau und seine
zwei Töchter das Kopftuch tragen. Schon als Oberbürgermeister von Istanbul
(gewählt 1994) richtete er seine Politik nach dem religiös-konservativen Milieu
aus. In dieser Zeit als Oberbürgermeister erklärte er auf einer
Pressekonferenz, Laizistisch und gleichzeitig ein Moslem zu sein, sei nicht
möglich (Hem laik hem Müslüman olunmaz)
und bezeichnete sich selbst in einem Interview als Anhänger der Scharia.
Geschaffen wurden gesonderte Badezonen für Frauen und Männer, gesonderte
Schulbusse für Mädchen und Jungen.
Die Ausrichtung seiner Politik
war mithin von Anbeginn an deutlich. Als die von ihm (mit-) gegründete AKP
schließlich in 2003 die Wahlen gewann und er so Ministerpräsident wurde, wird
man dies wohl auch als eine Folge der zunehmenden Islamisierung der Bevölkerung
anzusehen haben.
Vor Gründung der AKP gehörte
Erdogan der Wohlfahrtspartei an, die 1998 vom Verfassungsgericht wegen Sympathien
zum Dschihad und zur Scharia verboten wurde. Dies widerspräche des
verfassungsrechtlichen Laizismus. Die
Tugendpartei, der er danach angehörte, wurde aus den gleichen Gründen 2001
verboten. Die neugegründete AKP gewann zwar die Mehrheit, doch wegen eines
gerichtlichen Politikverbots (aus den o.g. Gründen) konnte Erdogan erst nach
einer entsprechenden Verfassungsänderung in 2003 Ministerpräsident werden.
Damit war nun die Grundlage
geschaffen, die stattliche Umbildung Atatürks durch strakte Trennung von Staat und Kirche nach westlichen Vorbild rückgängig zu machen.
Errungenschaften, wie die
Möglichkeit der Abtreibung und die Pressefreiheit, sollen bzw. wurden
eingeschränkt. Das Alkoholverbot wurde ausgeweitet.
Das Land bewegt sich nun zwischen
Beibehaltung westlicher Freiheiten und Islamismus. Die Proteste gingen vom
Taksim-Platz in Istanbul aus, den Erdogan umgestalten wollte. Dort befindet
sich der Gezi-Park, ein Park mit ca. 70
Jahre alten Bäumen. Es handelt sich um den letzten größeren Platz der Stadt,
auf dem Bäume stehen. Nach der Vorstellung von Erdogan sollen sie gefällt
werden und einem Einkaufszentrum weichen. Die Demonstrationen, die zu
gewaltsamen Auseinandersetzungen mit der Polizei führten, haben sich auf andere
Städte ausgeweitet und gehen über die Frage des Fällens der Bäume: Es geht um
den Unmut über die als despotisch empfundene Politik Erdogans.
Die Stellung des Militärs ist
derzeit unklar. Allerdings ist die Polizei auch paramilitärisch ausgerüstet. Ob
die Nachgabe Erdogans in der Frage der Rodung, wie von vielen
Parteifunktionären der AKP und auch Imanen gefordert, eine Befriedigung
bewirkt, dürfte nach der Ausuferung der Demonstrationen auch in anderen Städten
zweifelhaft sein. Unklar aber bleibt ohnehin, ob die Türkei wieder zurück zum
Lazismus findet und damit die Trennung des Islam vom Staat sowie die Freiheit
der Bevölkerung von islamischen Riten schafft. Eines aber wird deutlich: Ein
Imanstaat, wie Iran, wird wohl nicht akzeptiert. Es fragt sich nur, wer sich
durchsetzt.
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