Freitag, 7. Juni 2013

Der Sultan von Ankara - Islamistische Revolution oder die westliche Wiedergeburt ?


Atatürk war Begründer der modernen Republik Türkei. Der Staat selbst, im Spanungsfeld des Ost-West-Konflikts belegen, hatte stets Schwierigkeiten mit demokratischen Strukturen, wie auch die drei Militärputsche dokumentieren.  Nachdem Atatürk religiöse Formen aus dem öffentlichen leben heraushalten wollte, sogar ein Kopftuchverbot verordnete, kam mit Erdogan 2003 ein Ministerpräsident an die Macht, der islamische Traditionen befürwortete und fördert. Unter ihm nahm das Land immer weiter Abstand vom Westen hin zu einem islamistischen Staat. Nun aber zeigt sich Widerspruch.  Dieser formierte sich zunächst an der Absicht, die Rodung des einzigen größeren, mit Bäumen bepflanzten Platzes in Istanbul verhindern zu wollen, hat sich aber zu einer Bewgung entwickelt, die ihren Unmut über zehn Jahre Regierung Erdogans zum Ausdruck bringt. Doch der Staat in Gestalt der konservativen Staatsführung um Erdogan wehrt sich. Allerdings ist nicht ersichtlich, dass sich der Protest gegen die Ismalisierung als solche wendet und den in der Verfassung von 1937 formulierten Laizismus fordert.
 

Leitbild Atatürks war die laizistische Republik. Es war der Übergang vom osmanischen Reich, auch unter Abschaffung des Kalifenamtes, zur Demokratie in der 1923 von Atatürk ausgerufenen Republik. In der 1937 verkündeten Verfassung heißt es:
„Das Türkische Reich ist republikanisch, nationalistisch, volksverbunden, interventionistisch, laizistisch und revolutionär.“
In der Verfassung von 1961 blieb der Verweis auf die Laizismus, ebenso in der nach dem Militärputsch 1980 in 1982 in Kraft getretenen Verfassung, in der auch die Demokratie als Grundprinzip verankert wurde.  Aber schon zu Zeiten Atatürks regte sich Widerstand. Mitstreiter von ihm haben eine Oppositionsbewegung (mit Duldung von ihm) aufgebaut, die das Alte bewahren wollte. Gleichwohl wurden die Säkuralisierung durch Atatürk nach westlichen Vorbild vorangetrieben, wozu u.a. das Verbot der Religionsschulen gehörte, die (wesentlich)  Übernahme des schweizerischen Zivilrechts, des italienischen Strafrechts und Handelsrechts pp. Religiöse Gerichte wurden abgeschafft. Das Recht der Frau an der Teilhabe am wirtschaftlichen, solzialen und politischen Leben wurde verankert. Durchsetzen konnte dies Atatürk durch die Unterstützung des Militärs, aus dem er selbst kam.
Mit den späteren Militärputschen wurde auch stets verdeutlicht, dass die westliche Prägung des Staates erhalten bleiben soll. Doch mehrten sich konservative Kräfte, die dem Islam anhingen und dessen Einfluss auch auf das gesellschaftliche Leben fördern wollten. Zu ihnen gehört Recep Tayyip Erdoğan, der in 2002 die Wahlen gewann und seit 2003 Ministerpräsident ist. Es ist nicht verwunderlich, dass seine Frau und seine zwei Töchter das Kopftuch tragen. Schon als Oberbürgermeister von Istanbul (gewählt 1994) richtete er seine Politik nach dem religiös-konservativen Milieu aus. In dieser Zeit als Oberbürgermeister erklärte er auf einer Pressekonferenz, Laizistisch und gleichzeitig ein Moslem zu sein, sei nicht möglich (Hem laik hem Müslüman olunmaz) und bezeichnete sich selbst in einem Interview als Anhänger der Scharia. Geschaffen wurden gesonderte Badezonen für Frauen und Männer, gesonderte Schulbusse für Mädchen und Jungen.
Die Ausrichtung seiner Politik war mithin von Anbeginn an deutlich. Als die von ihm (mit-) gegründete AKP schließlich in 2003 die Wahlen gewann und er so Ministerpräsident wurde, wird man dies wohl auch als eine Folge der zunehmenden Islamisierung der Bevölkerung anzusehen haben.
Vor Gründung der AKP gehörte Erdogan der Wohlfahrtspartei an, die 1998 vom Verfassungsgericht wegen Sympathien zum Dschihad und zur Scharia verboten wurde. Dies widerspräche des verfassungsrechtlichen Laizismus.  Die Tugendpartei, der er danach angehörte, wurde aus den gleichen Gründen 2001 verboten. Die neugegründete AKP gewann zwar die Mehrheit, doch wegen eines gerichtlichen Politikverbots (aus den o.g. Gründen) konnte Erdogan erst nach einer entsprechenden Verfassungsänderung in 2003 Ministerpräsident werden.
Damit war nun die Grundlage geschaffen, die stattliche Umbildung Atatürks durch strakte Trennung von Staat und Kirche nach westlichen Vorbild rückgängig zu machen.
Errungenschaften, wie die Möglichkeit der Abtreibung und die Pressefreiheit, sollen bzw. wurden eingeschränkt. Das Alkoholverbot wurde ausgeweitet.
Das Land bewegt sich nun zwischen Beibehaltung westlicher Freiheiten und Islamismus. Die Proteste gingen vom Taksim-Platz in Istanbul aus, den Erdogan umgestalten wollte. Dort befindet sich der Gezi-Park,  ein Park mit ca. 70 Jahre alten Bäumen. Es handelt sich um den letzten größeren Platz der Stadt, auf dem Bäume stehen. Nach der Vorstellung von Erdogan sollen sie gefällt werden und einem Einkaufszentrum weichen. Die Demonstrationen, die zu gewaltsamen Auseinandersetzungen mit der Polizei führten, haben sich auf andere Städte ausgeweitet und gehen über die Frage des Fällens der Bäume: Es geht um den Unmut über die als despotisch empfundene Politik Erdogans.
Die Stellung des Militärs ist derzeit unklar. Allerdings ist die Polizei auch paramilitärisch ausgerüstet. Ob die Nachgabe Erdogans in der Frage der Rodung, wie von vielen Parteifunktionären der AKP und auch Imanen gefordert, eine Befriedigung bewirkt, dürfte nach der Ausuferung der Demonstrationen auch in anderen Städten zweifelhaft sein. Unklar aber bleibt ohnehin, ob die Türkei wieder zurück zum Lazismus findet und damit die Trennung des Islam vom Staat sowie die Freiheit der Bevölkerung von islamischen Riten schafft. Eines aber wird deutlich: Ein Imanstaat, wie Iran, wird wohl nicht akzeptiert. Es fragt sich nur, wer sich durchsetzt.

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