Im Rahmen seiner Entscheidung über Eilanträge gegen
die Ratifikation des ESM-Vertrages und Fiskalpaktes vom 12.09.2012 – 2 BvR
1390/12 – hat das Bundesverfassungsgericht u.a. ausgeführt:
„Die
haushaltspolitische Gesamtverantwortung des Deutschen Bundestages wird in
Ansehung der Übertragung der Währungshoheit auf das Europäische System der
Zentralbanken namentlich durch die Unterwerfung der Europäischen Zentralbank
unter die strengen Kriterien des Vertrages über die Arbeitsweise der
Europäischen Union und der Satzung des Europäischen Systems der Zentralbanken
hinsichtlich der Unabhängigkeit der Zentralbank und der Priorität der
Geldwertstabilität gesichert (vgl. BVerfGE 89, 155 <204 f., 207 ff.>;
129, 124 <181 f.>). Ein wesentliches Element zur unionsrechtlichen
Absicherung der verfassungsrechtlichen Anforderungen aus Art. 20 Abs. 1 und
Abs. 2 in Verbindung mit Art. 79 Abs. 3 GG ist insoweit das Verbot monetärer
Haushaltsfinanzierung durch die Europäische Zentralbank (vgl. BVerfGE 89, 155
<204 f.>; 129, 124 <181 f.>).“ (Rd.-Nr. 220)
„Gegen den
ESM-Vertrag kann - entgegen dem Vorbringen der Antragsteller zu I. und II. -
auch nicht eingewandt werden, dass der Europäische Stabilitätsmechanismus zum
Vehikel einer verfassungswidrigen Staatsfinanzierung durch die Europäische
Zentralbank werden könnte. Das Verbot monetärer Haushaltsfinanzierung als
wesentliches Element zur unionsrechtlichen Sicherung der verfassungsrechtlichen
Anforderungen des Demokratiegebotes (vgl. oben B.III.1.a)dd)) wird durch den
ESM-Vertrag nicht tangiert. Im geltenden Primärrecht findet dieses Verbot
monetärer Haushaltsfinanzierung seinen Ausdruck in Art. 123 AEUV. Dieser
enthält das Verbot von Überziehungs- oder anderen Kreditfazilitäten bei der
Europäischen Zentralbank oder den Zentralbanken der Mitgliedstaaten für Organe,
Einrichtungen oder sonstige Stellen der Union, Zentralregierungen, regionale
oder lokale Gebietskörperschaften oder andere öffentlich-rechtliche
Körperschaften, sonstige Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder öffentliche
Unternehmen der Mitgliedstaaten sowie des unmittelbaren Erwerbs von
Schuldtiteln von diesen durch die Europäische Zentralbank oder die nationalen
Zentralbanken. Es kann dahinstehen, ob eine Kreditaufnahme des Europäischen
Stabilitätsmechanismus bei der Europäischen Zentralbank bereits durch Art. 21
Abs. 1 ESMV ausgeschlossen ist, der lediglich eine Kapitalaufnahme "an den
Kapitalmärkten" vorsieht. Als internes Abkommen zwischen Mitgliedstaaten
der Europäischen Union ist der ESM-Vertrag jedenfalls unionsrechtskonform
auszulegen (vgl. EuGH, Rs. C-235/87, Matteucci, Slg. 1988, S. 5589, Rn. 19;
Kube, WM 2012, S. 245 <246 ff.>; BTDrucks 17/9045, S. 29; 17/9047, S. 4;
zum Bezug des ESMV auf das Unionsrecht siehe Rathke, DÖV 2011, S. 753 <759
f.>; Calliess, NVwZ 2012, S. 1 <1 f.>). Da eine Aufnahme von Kapital
durch den Europäischen Stabilitätsmechanismus bei der Europäischen Zentralbank
allein oder in Verbindung mit der Hinterlegung von Staatsanleihen mit
Unionsrecht nicht vereinbar wäre, kann der Vertrag nur so verstanden werden,
dass er derartige Anleiheoperationen nicht zulässt.“ (Rd.-Nr. 276)
2.
Das Bundesverfassungsgericht beschwört den AEUV
(Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union) und die dortigen Regelungen zur Europäischen Zentralbank
(EZB). Klar wird zum Ausdruck gebracht, dass Anleihekäufe durch die EZB sich
weder mit dem AEUV noch mit dem verfassungsrechtlich verbrieften Haushaltsrechts
des Deutschen Bundestages vereinbaren lassen.
Dies entspricht auch der ganz herrschenden Meinung.
Nur: Wer achtet auf die Einhaltung ? Wer ergreift welche Maßnahmen bei
Zuwiderhandlungen ? Wer kann etwas gegen Zuwiderhandlungen unternehmen ?
Unabhängig von Überlegungen einer Finanzierung über
Bonds (befürwortet durch den SPD-Kanzlerkandidaten Steinbrück), mit denen in
geradezu elementarer Weise gegen das verfassungsrechtlich geschützte
Haushaltsrecht des Deutschen Bundestages verstoßen würde, wird doch schon seit
einiger Zeit Art. 123 AEUV durch die EZB nicht mehr eingehalten: trotz des
Verbots der monetären Haushaltsfinanzierung werden Staatsanleihen durch die EZB
zur Stützen von Mitgliedsstaaten der EU aufgekauft. Und niemand schreitet ein.
Es wird, wenn nicht offen befürwortet, jedenfalls stillschweigend geduldet.
Trotz dieser bekannten erheblichen Rechtsverstöße
begründet das oberste deutsche Gericht, welches eine Gewährsträgerschaft für
die Verfassung hat, seine Entscheidung gerade mit jenen Gesetzesnormen, die
schon jetzt nicht mehr eingehalten werden. Es verschließt sich mithin (bewusst
?) der - vom Gesetz abweichenden und
nicht angegriffenen - Praxis.
Betrachtet also das Bundesverfassungsgericht alles
nur durch einen rosafarbenen Nebelschleier ? Die Grundstrukturen des
demokratischen Aufbaus (in Deutschland) werden erkannt und als Manifest den
Entscheidungen zugrunde gelegt. Dem Parlamentarismus als Grundlage der
demokratischen Ordnung kommt dabei in den Entscheidungen des Verfassungsgerichts
eine besondere Bedeutung zu; bezeichnend daher auch, dass es vor diesem
Hintergrund das Europäische Parlament nicht als Pfeiler in diesem System
ansieht (BVerfG vom 30.06.2009 – 2 BvR 2/08 u.a.).
Wenn es sich gleichwohl der Erkenntnis über die
praktische Anwendung bzw. Umsetzung gesetzlicher Regelungen verschließt, dies
bei seinen Entscheidungen nicht berücksichtigt, sind seine Entscheidungen mit
einem erheblichen Defizit verbunden. Was
hilft eine rechtstheoretisch die Verfassung wahrende Rechtsprechung, wenn sie
letztlich nur Gesetzen gilt, die jedenfalls nicht in dieser Form umgesetzt
werden und bei denen niemand darauf achtet oder dies erzwingt, dass auch die rechtsstaatlichen
Grundsätze bei der Umsetzung gewahrt werden ? Es sind Entscheidungen im
Elfenbeinturm. Die Erkenntnis der Anwendung von Gesetzen im Rahmen der
Umsetzung gemeinschaftsrechtlicher Regelungen muss zwingend Bestandteil der
Betrachtung verfassungsgerichtlicher Überprüfung sein, weshalb jedenfalls zu
erwarten gewesen wäre, dass das Verfassungsgericht eine entsprechende Regelung
zur Sicherung verlangt.
Es bleibt zu hoffen, dass das
Bundesverfassungsgericht künftig auch die praktische Anwendung gemeinschaftsrechtlicher
Regelungen in seine Betrachtung einfließen lässt und so verlässlich auf eine
Sicherung verfassungsrechtlicher Grundsätze hinarbeitet.